von Volker von Borzeszkowski
Habt Ihr Lust, mit uns auf NICA zu segeln, solange wir uns noch in einigermaßen erreichbarer Flugentfernung befinden. Diese WhatsApp von Maren und Gorm lasen Carla und ich im November 2022 beim Frühstück. Natürlich hatten wir Lust und für die notwendige Zeit mussten wir jetzt sorgen. Einige Telefonate und WhatsApp später stand fest. Wir fliegen am 28. Dezember nach Martinique und werden von dort zusammen mit Maren, Gorm und seiner Tochter Lisa einige Zeit in den Kleinen Antillen segeln.
Maren und Gorm waren schon vor fünf Jahren mit der ersten NICA, einem Einrumpfboot, zu einer Weltumseglung aufgebrochen, wegen der Coronapandemie und der damit verbundenen weltweiten Reisebeschränkungen allerdings in Neuseeland nicht mehr weitergekommen. Nun sind sie mit einem neuen Boot zu einem zweiten Anlauf gestartet. Die zweite NICA ist ein 57 Fuß Performance-Katamaran, gezeichnet nach den Vorstellungen von Maren und Gorm von dem neuseeländischen Yacht Designer Roger Hill und gebaut bei Knierim in Kiel. Wie auch bei der ersten NICA sind die Rümpfe hellgrün lackiert. Hierdurch und auch durch die markanten sportlichen Konturen sticht das Boot aus der Masse der Boote heraus. Bereits wegen dieser Besonderheiten freuen wir uns besonders auf das Leben und Segeln an Bord von NICA. Außerdem werden Carla und ich – wenn alles planmäßig verläuft – mit unserem eigenen Katamaran Ende des Jahres zu unserem Langfahrttörn aufbrechen und da ist ein derartiger Vorgeschmack genau das Richtige.
Es ist bereits dunkel, als wir um 18:30 Uhr auf Martinique landen NICA ankert etwas südlich vom Flughafen in der Bucht vor Les Anses-d´Arlet. Als wir in dem kleinen Dorf aus dem Taxi steigen, sehen wir schon wie sich auf dem Wasser zwei Positionslichter auf uns zu bewegen. Gorm holt uns mit dem Beiboot am Steg vor der Kirche ab und eine halbe Stunde später sitzen wir nach einer herzlichen Begrüßung im Cockpit gefühlt mitten im Paradies. Ein leichter Luftzug sorgt für die notwendige Kühlung und die beleuchteten Ankerlieger schaukeln sanft in der Dünung. Das Flensburger Dezember-Schmuddelwetter aus dem wir am Morgen gestartet waren, haben wir schon vergessen. Maren hat noch etwas Brot und Käse angerichtet und bei einem Glas kühlem Rosé erzählen wir ein wenig, bis wir todmüde von der Reise in die Koje fallen.
Am nächsten Morgen soll es noch nicht gleich weitergehen, sondern wir wollen den Tag vor Anker in der Bucht verbringen. In Schwimmentfernung von NICAS Ankerplatz liegt ein kleines Riff mit geringer Wassertiefe und bietet perfekte Schnorchelbedingungen. Schon auf dem Weg dorthin begegnen uns die ersten Schildkröten. Das Riff ist bewachsen mit wunderschönen Weich- und Hartkorallen. Fächerkorallen und Anemonen wiegen sich sanft in der Dünung. Nemo und Dorie finden wir zwar nicht, aber dafür können wir viele bunte Rifffische beobachten.
Spannend ist auch die Tour an Land. Carla und ich waren noch nie in der Karibik und können gleich an unserem ersten Tag die karibische Mentalität erleben. Weil es am nächsten Tag früh weitergehen soll, müssen wir schon heute ausklarieren. Es ist Freitag, der 29. Dezember und das Büro soll bis 13:00 Uhr geöffnet sein. Rechtzeitig um 12:00 Uhr sind wir mit allen Papieren zur Stelle, nur die Türen sind verschlossen. Fragen in umliegenden Geschäften bei Einheimischen ergeben nur ein Achselzucken mit der Bemerkung, dann müssten wir wohl bis zum 02. Januar warten, dann wäre wieder geöffnet. Erstaunlich findet die verfrühte Schließung außer uns offensichtlich niemand. Auch verschiedene Anrufe bringen keine Abhilfe. Da für den nächsten Tag eine Segelstrecke von 100 Seemeilen ansteht, die wir gerne bei Tageslicht schaffen wollen, bietet ein Zwischenstopp im nächstgelegenen Hafen keine Alternative. Es bleibt nur eine Tour über Land zum nächsten Hafen, wo das Büro auch am Freitagnachmittag noch geöffnet hat. Lisa will das übernehmen und um 17:00 Uhr mit dem Bus dorthin fahren. Da der Bus nicht kommt – wer hätte damit gerechnet – blieb nur trampen, was offensichtlich in der Karibik eines der verlässlichsten Fortbewegungsmittel darstellt. Jedenfalls klappt es irgendwie und wir dürfen Martinique am nächsten Tag verlassen.
Trotz dieser Unbillen – oder vielleicht auch karibischen Normalitäten – verläuft auch unser Nachmittag an Land abwechslungsreich. Direkt am Strand in der Verlängerung des Dinghy Steges steht eine kleine katholische Kirche, die im Ursprung aus dem 17. Jahrhundert stammt. Teile der Kirche wurden über die Jahrhunderte hinweg durch Wirbelstürme beschädigt, aber immer wieder aufgebaut, zuletzt der Glockenturm im Jahre 2008. Im Inneren beeindrucken schön gestaltete Buntglasfenster. Direkt vor der Kirche an der Strandpromenade unter einem Dach haben sich einige Einheimische bei lauter Musik versammelt und genießen Getränke und ihre süßlich duftenden Zigaretten. Stören tut das hier mitten im Ortszentrum niemanden. Auch das gehört offensichtlich dazu.
Wir haben schon oft gelesen, dass man in den Geschäften solcher kleiner Orte zur Proviantierung nicht das suchen soll, was man meint zu gebrauchen, sondern dass man das kaufen muss, was es gerade gibt. Maren und Lisa haben darin schon Übung und erwerben nach fachkundiger Begutachtung des Reifegrades und Gesprächen mit den Händlern verschiedene exotische oder auch bekannte Obst- und Gemüsestücke, aus denen sie in den kommenden Tagen wunderbar schmeckende Mahlzeiten zubereiten. Wir helfen, so gut wir können und lernen viel über das Leben in der Karibik.
Am nächsten Tag soll es losgehen. Wir wollen nach Mustique, einer kleinen Insel der Grenadinen. Bis dorthin sind es rund 100 Seemeilen, die wir nach Möglichkeit bei Tageslicht segeln wollen. Wie in tropischen und subtropischen Gegenden üblich, gibt es kaum eine Morgen- oder Abenddämmerung. Um sechs Uhr ist es hell und um 18 Uhr ist es dunkel. Also stehen wir um halb sechs auf. Nach einem kurzen Check des Bootes nehmen wir um sechs Uhr den Anker auf und es geht los. Wie vorhergesagt, herrscht die ersten zwei Stunden Flaute in der Landabdeckung von Martinique und wir müssen motoren. Es bleibt also genügend Zeit für ein leckeres ausgiebiges Frühstück und sogar eine zweite Kanne Darjeeling. Als wir den Windschatten der Insel verlassen, kommt Wind auf und wir setzen Segel. Ich bin noch nie auf einem Boot mit derartiger Performance gesegelt und konnte mir auch kaum vorstellen, wie sich das anfühlt. Als das Groß steht und wir den A3 dichtnehmen beschleunigt der Katamaran auf über 14 Knoten. Solche Geschwindigkeiten konnten wir mit unserer MOMO nur in Ausnahmesituationen unter Gennaker mit schiebender Welle und auch nur ganz kurzfristig erreichen. Hier bleibt die Logge konstant zwischen 12 und 15 Knoten. Mir rutscht ein: „Ist das geil“ heraus. Ein kurzer Blick in Gorms Gesicht zeigt mir, dass offensichtlich alles normal ist, bei diesen Geschwindigkeiten nichts beängstigen muss und ich genieße die rauschende Fahrt. Ein Katamaran wie NICA bietet unglaubliches Potential, erfordert aber auch aktives Segeln. Also nicht die Selbststeueranlage anschalten und nur bei jedem Wegpunkt einmal die Segelstellung ändern, sondern Action! Gefühlt wechseln wir die Vorsegel im Stundentakt: A3 – J0 – Genua – Staysail usw. Dabei hat ein solches Vorsegel natürlich nicht wie auf unserer MOMO 40 qm oder der Gennaker 110 qm, sondern ein Vielfaches davon mit entsprechendem Gewicht. Trotz elektrischer Winschen kommen wir ins Schwitzen, aber jedes Mal werden wir mit perfektem Segeln belohnt.
Mustique erreichen wir gegen 17:00 Uhr wie geplant bei Tageslicht.
Gorm hatte vorher per Funk Kontakt mit den örtlichen Boat-Boys aufgenommen und man hatte ihm eine freie Mooringboje zugesagt. Als wir in die Bucht einlaufen, sehen wir, wie eine Segelyacht an der letzten freien Boje festmacht. Auf unsere Frage an die Boat-Boys, wir hätten doch eine Boje reserviert, war die knappe Antwort, wir hätten doch unsere Ankunft in zehn Minuten angekündigt, jetzt seien aber bereits fünfzehn Minuten vergangen – Karibik. Eine Diskussion, ob es tatsächlich fünfzehn Minuten waren, ist müßig; die Boje ist besetzt und wir machen den Anker klar.
Mustique ist eine kleine Insel, die sich in Privatbesitz befindet. Hier lebt der Jetset. Prinzessin Margret besitzt hier ein Grundstück ebenso wie Tommy Hilfiger, Mick Jagger, Bryan Adams, David Bowie oder verschiedene bekannte Schauspieler. Da die Herrschaften unter sich bleiben möchten, soll man nicht einfach über die Insel laufen; man bewegt sich im Bereich der Häuser und Geschäfte vor der Ankerbucht und auf etwa einem Kilometer Strand entlang der Bucht. Wir mieten ein Taxi und unternehmen damit eine geführte Tour über die Insel. In knapp 89 Villen leben hier nach offiziellen Angaben 500 Einwohner. Sehen tut man nahezu niemanden; die Berühmtheiten lieben das Leben unter sich. Dafür gibt es hier alles, was man zum Leben benötigt jeweils in einem gesonderten Gebäude: ein Gebäude für den Lebensmittelladen, ein Gebäude für die Schule, ein Gebäude für die Bibliothek, ein Gebäude für die kleine Klinik u.s.w. Alle Gebäude sind bestens gepflegt und in leuchtenden Farben angestrichen. Nur sterben tut man hier offensichtlich nicht; der Friedhof jedenfalls ist verwildert und sieht ungenutzt aus. Mit dem Taxi fahren wir vorbei an zahlreichen Luxusvillen und der Fahrer erklärt uns mit leichtem Stolz in der Stimme, wer hier seine Freizeit verbringt, wenn er oder sie dann da wäre. Sehen kann man nur einige einheimische Angestellte, die mir großer Akribie die Zufahrten, Rasenflächen und Beete pflegen. Schön sieht das aus, aber leblos. Am Strand unternehmen wir noch einen kurzen Spaziergang, bis uns nach ein paarhundert Metern ein Wachmann freundlich aber bestimmt erklärt, dass ab hier der Zugang unerwünscht ist. Wir fahren zurück zum Boot und genießen den Rest des Tages schwimmend, schnorchelnd oder im Schatten liegend.
Als am späten Nachmittag ein kleines Fischerboot vorbeifährt, ergreift Maren die Chance, noch bevor wir die Möglichkeit überhaupt erkannt haben: „Do you have tuna?“ ruft sie den beiden Fischern hinterher, die sofort umdrehen und aus ihren beinahe zahnlosen Gesichtern grinsend einen Thunfisch hochhalten. Zum Feilschen über den Preis bleibt keine Gelegenheit, denn auf dem Nachbar-Ankerlieger ist man aufmerksam geworden und fragt ebenfalls nach einem Thunfisch, aber es gibt nur einen. Also greifen wir zu und können die Fischer gerade noch dazu bewegen, für den geforderten stolzen Preis den Fisch zumindest auszunehmen. Es ist der 31. Dezember und unser Silvestermenü ist gesichert. Wir müssen den Fisch nur noch filetieren. Einige You Tube-Videos später trauen wir uns auch daran. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und der Abend ist gerettet. Eigentlich hatten wir vor, nach dem Abendessen auf einen oder zwei Drinks in Basil´s Bar den Jahreswechsel zu feiern.
Die Bar bezeichnet sich selbst als Legende und als den kulturellen Herzschlag von Mustique der letzten fünfzig Jahre. Für den Abend war außerdem Livemusik angesagt. Was wir aber nicht bedacht haben, ist die ermüdende Wirkung der Tageshitze und des Klimas hier. Wir schaffen es gerade noch, das Feuerwerk vom Boot aus anzusehen und fallen dann in die Kojen. Nur Lisa schafft es in ihrem jugendlichen Alter, an Land zu fahren. Wann sie zurückgekehrt ist, habe ich nicht mehr gehört, aber es war wohl eine schöne Party.
Am nächsten Morgen trauen wir unseren Augen nicht. In der Ankerbucht erscheint eine Segelyacht mit hellgrünem Rumpf – die erste NICA ist ebenfalls hier. Weder Maren noch Gorm wussten, dass sie überhaupt in der Nähe ist. Für beide kommen große Emotionen hoch, nachdem sie mit dieser Segelyacht immerhin um die halbe Welt bis Neuseeland gesegelt sind und mit ihr unvergessliche Erlebnisse verbinden. Entsprechend herzlich fällt die Begrüßung der neuen italienischen Eigner aus und man besucht sich wechselseitig auf den Booten.
Nach zwei geruhsamen Tagen vor Anker wollen wir weiter in die Grenadinen. Die Tobago Cays sind unser nächstes Ziel, das wir nach knapp 20 Seemeilen perfektem Segelvergnügen erreichen. Zum Jahreswechsel ist in der Karibik Hochsaison und entsprechend voll ist es auch hier. Wir haben Glück und finden vor Baradal Beach geschützt durch das Außenriff einen perfekten Liegeplatz an einer freien Mooringboje. Hier wollen wir einige Tage bleiben, schnorcheln und auf den Inseln spazieren gehen. Für den nächsten Tag ist außerdem Wind vorhergesagt und Lisa freut sich auf einige schöne Stunden auf dem Kiteboard.
Baradal ist die am nächsten zum Außenriff liegende Insel. Das Wasser hat im Sonnenlicht alle Farbschattierungen von blau über türkis bis grün. Auf dem Bug sitzend schweift der Blick vom strahlend weißen Sandstrand der Insel über das Wasser und das Außenriff auf den offenen Ozean. Der Wind kühlt ein wenig und das Ankerbier schmeckt. Da wir noch nicht abschätzen können, ob in der Bucht und davor Strömung herrscht, schnorcheln wir zunächst vorsichtig nur bis zum Strand. Schon hier sehen wir erste Schildkröten und Rochen, aber kaum andere Fische. Mit dem Dinghy fahren wir deshalb am nächsten Tag bis an das Außenriff, ankern dort und springen wieder ins Wasser. Schwimmend finden wir einen Weg durch das Riff auf die Atlantikseite, wo der Untergrund steil abfällt und man schon bald keinen Grund mehr sehen kann. Hier wachsen schöne Korallen und es gibt entsprechend viele Fische – einfach herrlich. Auf dem Rückweg durch das Riff sieht Maren einen Riffhai. Der Puls schnellt kurzzeitig nach oben, weil hier nicht viel Platz ist, aber das Tier findet offensichtlich genug andere Nahrung, ist an Menschen nicht interessiert und schwimmt unbeeindruckt weiter.
Am späten Vormittag nimmt wie versprochen der Wind zu und Lisa baut ihre Kitesachen auf. Schon an Land erfordert das Vorbereiten der Steuerleinen einige Aufmerksamkeit. Auf dem Boot mit entsprechend beengten Platzverhältnissen entsteht das, was man aus Laiensicht getrost als Leinenchaos bezeichnen kann, aber Lisa ist zuversichtlich, alles im Griff zu haben. Einige wenige Kitestunden habe ich vor zwei Jahren auch einmal genommen, schaue mir das Ganze mit Interesse an und helfe, wo ich kann. Irgendwann fliegt der Kite tatsächlich über NICA. Lisa setzt sich mit dem Board an den Füßen auf die Badeplattform und mit einem gekonnten Dive geht es los. Ich bin beeindruckt. Nach mehreren Stunden kommt sie zum Boot zurück und bietet mir an, es auch zu versuchen. Ich sage nicht nein und Gorm macht das Beiboot klar, um zu unterstützen. Leider nimmt der Wind allmählich ab. Unter Lisas Anleitung komme ich einige Male aus dem Wasser, aber dann siegt doch die Erdanziehungskraft. Ich versuche es weiter, bis der Wind nicht mehr ausreicht, den Kite zu starten. Mit einem Riesendank an Lisa und Gorm packen wir auf NICA die Sachen wieder zusammen. Ich bin erschöpft und habe viel Wasser geschluckt, bin aber immerhin einige Male aus dem Wasser gekommen.
Schon in der Ankerbucht vor Mustique hatten wir die erste NICA mit ihren neuen italienischen Eignern getroffen. Auch hier in den Tobago Cays kommt es zu einem herzlichen Wiedersehen. Wir verabreden uns für den Abend zu einem Lobster Barbecue am Strand. Die Einheimischen haben dort eine große Grillanlage mit Tischen und Bänken errichtet und servieren Hummer, Grillgemüse und Reis sowie Getränke. In der karibischen Wärme mit leichtem Wind und sanft an den Strand plätschernden Wellen entsteht eine großartige Atmosphäre, der Hummer und das Bier schmecken hervorragend. In der Dunkelheit sind wir anschließend froh, dass wir nicht selbst mit dem Dinghy zurückfahren müssen, sondern gebracht werden.
Auch diesen wunderbaren Platz müssen wir irgendwann verlassen, um neues entdecken zu können. Es geht also weiter in den Grenadinen. Als wir die kleine Insel Palm Island passieren ankert dort tatsächlich das pinkfarben gestrichene Segelboot, das den Doyle Guide als Titelfoto ziert, die PINK LADY. Auch wir fotografieren sie vor der malerischen Küste. Zum Ankern für uns bietet sich die Bucht leider nicht an, weil sie zu viel Schwell hat. Statt dessen fahren wir weiter nach Union Island und werfen den Anker vor Clifton. Die Bucht liegt im Passatwind und ist vor den Wellen durch ein Riff geschützt. So entsteht neben einer ruhigen Ankerbucht gleichzeitig einer der bekanntesten Kitespots der südlichen Karibik. Eine bekannte Herstellerfirma dreht hier Werbefilme für ihr Kitematerial und Lisa freut sich seit Tagen auf diesen Anker- und Kiteplatz.
Zunächst fahren wir mit dem Dinghi an Land. Die Stadt wird im Doyle Guide als charmant und farbenfroh mit einem malerischen Markt rund um eine Grünfläche beschrieben; es soll eine ausgezeichnete Auswahl an Restaurants und Bars geben, wo man draußen sitzen und das Leben in der Stadt beobachten können soll. Soweit die Theorie. Am Dinghy Dock empfängt uns Hermann und erklärt uns, dass seine Mutter den besten Supermarkt der Stadt betreibt und bietet uns an, uns direkt dorthin zu führen. Schon von hier aus erweist sich der Ort als eher überschaubar und der Begriff Stadt ist vielleicht etwas euphorisch gewählt. Vorbei an den eher ungepflegten Häusern der Uferbebauung kommen wir zu dem im Doyle Guide beschriebenen malerischen Markt. Es handelt sich um einige Stände, die örtliches Obst und Gemüse sowie in kleinem Umfang auch sonstige Waren und touristische Mitbringsel verkaufen. So reiht sich ein „Supermarkt“ an den anderen. Hermann zeigt uns stolz denjenigen seiner Mutter.
Einiges an Proviant finden wir hier und anderes in den benachbarten Ständen. Tatsächlich ist Clifton um den zentralen Platz herum sehr farbenfroh gestaltet und erweist sich als das, was man sich unter einer karibischen Stadt vorstellt. Das gilt allerdings nur für den zentralen Platz. Folgt man den von dem Platz abzweigenden Straßen, sehen die Häuser schon nach wenigen Metern bei weitem nicht mehr gepflegt und malerisch sondern ziemlich heruntergekommen und wenig einladend aus. Auch die Suche nach den im Guide angepriesenen ausgezeichneten Restaurants und Bars gestaltet sich schwierig. Bei unserem ersten Versuch, eine Kleinigkeit zum Lunch zu finden, finden wir zwar ein Restaurant mit ansprechender Karte und schöner Aussicht über die Ankerbucht, aber die in dem leeren Restaurant gelangweilt herumstehenden Mitarbeiterinnen erweisen sich als gänzlich unwillig, einen Lunch zu servieren. Wir versuchen es anderweitig erneut. Das im Guide angepriesene „draußen sitzen“ erweist sich oft als Aufenthalt in Hinterhofatmosphäre und viel Leben gibt es in der Stadt auch nicht. Eigentlich verirren sich hierher nur einige wenige Segler von den ankernden Booten, die ihre Einkäufe erledigen und sich dann wieder an den Ankerplatz zurückziehen. Das tun wir nach einem Rumpunsch ebenfalls.
Lisa ist mit ihrem Kiteboard zwischenzeitlich auf dem Wasser. Ich setze mich auf den Bug von NICA und bewundere die Sprünge und Tricks. Offensichtlich bin nicht nur ich beeindruckt. In der Bucht mitten in dem Gebiet der Kiter gibt es eine winzige Insel, auf der eine kleine Bar betrieben wird – „Happy Island“. Als Maren und Gorm später am Nachmittag dort einen Drink nehmen, sitzen am Nebentisch einige andere kundige Kiter. Auch sie kommentieren jeden Sprung anerkennend, ohne von der Verbindung zwischen Lisa und Gorm zu wissen. Auf Happy Island treffen wir uns schließlich auch alle gemeinsam zum Sundowner. Die Stimmung ist hervorragend und der Rumpunsch schmeckt. Allmählich lerne ich, dass Sundowner zumindest unter Seglern in der Karibik ein Pluraletantum ist; bei einem bleibt es selten.
Nachdem wir in den letzten Tagen nur kurze Strecken zwischen den kleinen Inseln der Grenadinen unter Motor zurückgelegt haben, müssen wir nun zurück nach Norden, nach St. Lucia. Die World ARC startet am 13. Januar und wir möchten noch einige Vorbereitungsarbeiten am Boot ausführen und Proviant einkaufen. Rund 90 Seemeilen liegen vor uns. Anders als auf dem Weg nach Süden erwarten wir nun Amwindkurse, also nicht ganz so hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten wie auf dem Weg nach Süden und nasseres Segeln mit Wellen von vorne. Beim ersten Tageslicht um 06:00 Uhr sind wir an Deck, nehmen den Anker auf und setzen Segel. Sobald wir die windgeschützte Ankerbucht verlassen, sind wir im Passatwind und der Segelspaß beginnt. Im durch den Schutz der Inseln weitgehend flachen Wasser fahren wir mit über zehn Knoten und zu meiner Überraschung bleiben selbst auf diesem Amwindkurs dieTassen auf dem Tisch stehen.
Für das Routing diskutieren wir, ob wir die großen Inseln, insbesondere St. Vincent, wegen des zu erwartenden Windschattens östlich, also in Luv passieren wollen. Dort wäre aber die hohe Atlantikwelle zu erwarten, so dass wir uns für die bequemere cruisingfreundliche Passage auf der Westseite der Inseln entscheiden. Obwohl wir St. Vincent mit vielen Seemeilen Abstand passieren, sackt der Wind erheblich ab und es ist wieder einmal ein Wechsel des Vorsegels erforderlich. Aber dafür ist man ja Segler. Als wir die Südspitze von St. Lucia mit ihren Pitons, den markanten Bergspitzen, passieren, hilft auch kein Segelwechsel mehr. Wenn wir Rodney Bay Marina im Norden der Insel rechtzeitig erreichen wollen, müssen wir unter Motor weiterfahren.
In der Rodney Bay Marina sehen wir schon die ersten Boote mit der Flagge der World ARC. Die Teilnehmer sammeln sich allmählich, um am Wochenende die Rally um die Welt von hier aus zu starten. Am Abend findet eine Kennenlernparty auf dem Hafengelände statt. Wir ziehen uns die NICA-Crewshirts an und kurze Zeit später genießen wir einen Rumpunsch, lernen nette Segler der World ARC Community kennen und erleben bei interessanten Gesprächen über Kolumbien in der Nähe und den Pazifik und die Südsee in der Ferne einen entspannten und kurzweiligen Abend.
Schon an dem Abend und zunehmend in den kommenden Tagen bei Gesprächen mit den anderen Seglern werden das Fernweh und die Lust darauf, neue Länder kennenzulernen, immer größer. Für Carla ist die Zeit in der Karibik allerdings zu Ende. Sie fliegt zurück nach Flensburg und muss arbeiten. Ich habe das Glück noch einen weiteren Monat bis Panama City an Bord bleiben zu können.